Stell dir vor, du arbeitest in einem Team, alle sind immer nur freundlich. Alle lächeln sich an. Alle sind ausschließlich zurückhaltend und leise. Es gibt keine Uneinigkeiten. Stets wird genickt, und zugestimmt und alle sorgen dafür, dass es keinerlei Konflikte gibt. Auf den ersten Blick klingt das doch traumhaft, oder? Heile Welt, Friede, Freude, Eierkuchen und Höflichkeit – all over!
Und nun komme ich und sage: „Wenn es nur noch höflich und friedlich ist, dann könnten wir auch sagen, es ist bei uns FRIEDHÖFLICH!!“ Und ja, ich meine das genau so, wie es klingt: Ein Zustand, in dem jeder nett und freundlich ist, könnte schon bald dafür sorgen, dass jeder Funken von Kreativität und Lebendigkeit in deinem Team vor Langeweile abstirbt. Keine Reibung, keine Anpassung, kein echter Austausch, keine Innovation, keine Weiterentwicklung, einfach gar nichts außer Höflichkeit. Klingt nicht mehr so verlockend, oder?
In diesem Artikel tauchen wir mal etwas tiefer und schauen, was geschieht, wenn wir den Fehler machen und Konflikte als etwas betrachten, das unbedingt vermieden werden muss. Wir schauen uns auch an, wie dieser scheinbare Friede nach und nach ins „Friedhöfliche“ abgleitet und alles Lebendige eindimensional macht. Natürlich mit einer ordentlichen Portion Humor und ein paar allzu wahren Beispielen aus dem echten Leben.
Fehler: Konflikte müssen vermieden werden
Wir sind von klein auf darauf trainiert, Konflikte als unangenehm und problematisch zu sehen. Sei es der Streit auf dem Schulhof oder das unangenehme Gespräch im Büro – die meisten Menschen fühlen sich unwohl, wenn es krachen könnte. Die Folge? Wir tun alles, um Konfrontationen zu vermeiden. Wenn jemand im Meeting eine kritische Frage stellt, nicken wir lieber brav und schlucken unsere eigentlichen Gedanken runter. Schließlich will ja keiner als derjenige gelten, der immer Unruhe stiftet, oder?
Ist eine solche Vermeidungsstrategie erst einmal eingeführt, zieht sie sich nach und nach durch alle Teams und das gesamte Unternehmen. Es entsteht eine Kultur der vollkommenen Harmonie – frei nach dem Motto: „Wir haben uns alle lieb! Gefälligst!!!“. Das ist eine oberflächliche Harmonie. Konflikte werden nicht angesprochen, Themen, die eigentlich mal geklärt werden müssten, bleiben in der Schwebe und werden verschoben. Jeder versucht, so wenig wie möglich aufzufallen, alle ducken sich weg und halten den Mund. Niemand hebt sich hervor, es werden keine Ideen mehr geboren. Es gibt keinen Wettbewerb und keine Reibung, keinen Streit und keinen Austausch, keine Debatte, keine lauten Stimmen, keinen kritischen Einwurf, keinen Aufschrei – nichts außer freundliche leise höfliche Worte. Spürst du schon, wie es kälter und toter wird?
Aber nein, es geschieht zeitgleich auch noch etwas und heimlich folgendes: Die Probleme verschwinden nicht, nur weil wir sie ignorieren. Sie sind da und sammeln sich an, wie Staub unter einem Teppich, wie Leichen im Keller, wie Skelette im Schrank, wie Geister, die dann irgendwann unaufgefordert hochschrecken! Am Anfang siehst du es nicht – aber irgendwann stolperst du darüber oder schlimmer: irgendwann wird der Teppich so dick, dass er nicht mehr liegt, sondern sich aufbäumt wie eine bucklige Straße auf der du dahinstolperst. Oder stell dir einfach vor, du musst all deine Energie darauf verwenden, mit Gas gefüllte Luftballons unter Wasser zu halten. Und je mehr du nicht ausgesprochen hast, desto mehr Luftballons werden es.
Willkommen im Friedhof der unterdrückten Konflikte.
Der Prozess ins Friedhöfliche: Wie man die Lebendigkeit eines Teams verliert
Lass uns diesen Prozess einmal genauer anschauen. Es beginnt ganz harmlos. Du hast ein Team, das gut zusammenarbeitet, und alle haben sich auf einen respektvollen Umgang vereinbart und sie sind bemüht, entsprechend höflich und respektvoll miteinander umzugehen. Keiner will den anderen verletzen. Und irgendwer beginnt, unangenehme Themen entweder zu verschwiegen oder nur oberflächlich zu behandeln. Es ist das alte: „Es passt schon, ist doch nicht so wichtig und kann ja mal vorkommen“-Syndrom. Für alles finden wir Erklärungen – unermüdlich!
Schritt 1: Oberflächliche Nettigkeiten
Alles läuft scheinbar super. Jeder ist nett, freundlich und gut gelaunt. Es gibt keine offenen Streitigkeiten, und jeder tut so, als ob die Welt in Ordnung wäre. Aber tief in dir weißt du, dass das nicht ganz stimmt. Also fängt es an in die zu knistern. Ein Kollege liefert nicht immer ab, die Projekte laufen nicht optimal, Liefertermine werden nicht eingehalten, das nervt alles, aber du sprichst es nicht an. Warum auch? Hm. Stimmt etwas was mit Deiner Wahrnehmung nicht? Alle sagen doch, es sei ja alles „in Ordnung“.
Die kleinen Probleme beginnen sich zu sammeln. Wieder hat ein Mitarbeiter hat ein paar Deadlines nicht eingehalten? OK, egal, das passiert jedem mal. Ein anderer hat eine unschöne Bemerkung gemacht? Der hatte bestimmt einen schweren Tag. Ignorieren wir das lieber, sonst gibt’s vielleicht Ärger. Und so geht’s weiter.
Schritt 2: Der Keller füllt sich – Die Leichen sammeln sich
Nach und nach sammeln sich die ungeklärten Probleme an. All die unausgesprochenen Kritikpunkte, die nicht adressierten Frustrationen und die unangenehmen Wahrheiten werden von dir und deinen Kollegen nicht angesprochen. Ihr merkt, dass die Atmosphäre fast schon zwangsfreundlich ist, formale Höflichkeit einzieht und so nach und nach kannst du beobachten, wie jeden Tag eine neue Leiche in den Keller einzieht. Dort wird es langsam voll und jeder hofft, dass niemand jemals nach unten geht.
Hier fängt dein Team an, seine Authentizität zu verlieren. Du kannst beobachten wie alle nach und nach beginnen, eine Rolle zu spielen. Sie bleiben stets freundlich und professionell, aber keiner ist mehr wirklich ehrlich. Die Sätze, die du hörst, hören sich verständnisvoll an, sind jedoch oft hohl: „Klar, ich mach das“, „Kein Problem“, „Alles gut“, „Das kriegen wir schon!“, „Mach dir keine Sorgen“, „Das kann ja mal vorkommen.“. Aber dahinter? Dahinter fühlst du eine Unzufriedenheit, eine Ohnmacht, die Gesichter passen nicht mehr zu den Worten. Es macht sich eine Leere breit. Jetzt ist der Keller voll, Probleme liegen wie Leichen im Keller, und niemand hat den Mut, nach unten zu gehen.
Schritt 3: Die Skelette im Schrank
Irgendwann gibt es so viele unbesprochene Probleme, dass sie nicht mehr im Keller bleiben. Das wäre ja auch zu schön! Nein, sie füllen jetzt auch schon wie Skelette den Schrank. Und jetzt kommt das Schlimme: Dieser Schrank fängt an, zu quietschen, weil er überquillt. Die Skelette – all die verpassten Chancen, die nie ausdiskutierten Konflikte, die toten Ideen – sind so zahlreich, dass sie bei jeder Gelegenheit aus dem Schrank zu fallen drohen. Man weiß nie, wann die nächste Schranktür aufgerissen wird und dir all die unangenehmen Themen auf die Füße fallen. Du magst kaum mehr etwas anfassen, weil alle geeignet scheint, die Skelette und Leichen lebendig zu machen und dann musst DU DICH KÜMMERN. Dann wirst du zum Überbringer der bösen Botschaft… Wer will das denn???
Die Stimmung kippt. Was mal als höfliche Harmonie begann, verwandelt sich in unterschwellige Spannungen. Plötzlich wird alles falsch verstanden. Jemand sagt etwas, und du fragst dich: „War das jetzt eine Spitze?“ Die Leute fangen an, hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln. Jeder scheint irgendwie genervt, aber keiner sagt was. Das Arbeitsklima wird klebrig und stickig – fast wie in einem alten Keller, in dem zu lange keine Fenster geöffnet wurden. Niemand mag sich wirklich mehr bewegen.
Schritt 4: Der Friedhof
Und jetzt sind wir da: im friedhöflichen Zustand. Keine Konflikte mehr, keine Diskussionen, keine frischen Ideen. Es herrscht eine trügerische Ruhe. Es ist eine Ruhe, die irgendwie tot ist. Innovation? Fehlanzeige. Kreative Lösungen? Gibt es nicht mehr. Feedback? Besser nicht! Dein Team bewegt sich keinen Millimeter mehr, weil jeder Angst hat, irgendetwas Falsches zu sagen oder zu tun. Ab jetzt zahlt Ihr den Preis für unbedingte Friedlichkeit und Höflichkeit.
Realität: Konflikte sind unvermeidlich – und das ist gut so!
Jetzt mal Klartext: Konflikte sind absolut unvermeidlich. Aber das ist nichts Schlechtes! Denk mal drüber nach: Konflikte entstehen, weil wir Menschen unterschiedliche Meinungen haben. Du denkst anders als ich! Du hast andere Ansichten oder Werte und du kennst andere Wege zur Lösung. Du hast vielleicht mehr Mut als ich und die bist vielleicht wirtgewandter, die fallen die Dinge zu, während ich mich anstrengen muss. Dafür kann ich andere Dinge besser und weiß einiges, wovon du keinen Schimmer hast. Und unsere Kunden, Ach herrje… die sind ja noch mal ganz anders und wollen immer nur ihren Vorteil haben.
Genau diese Vielfalt bringt uns weiter. Wenn du und dein Team immer alle derselben Meinung seid, werdet ihr nie etwas Neues schaffen. Aber. Wenn ihr begreift, dass Konflikte der Treibstoff für Innovation und Fortschritt sind, was wäre dann?
Wenn du Konflikte frühzeitig ansprichst und lösungsorientiert angehst, sorgst du dafür, dass Probleme gelöst und Beziehungen gestärkt werden. Jeder Konflikt birgt die Chance, Dinge zu klären, Prozesse zu verbessern und vor allem: echten Fortschritt zu machen – am besten gemeinsam.
Stagnation durch Konfliktvermeidung: Das langsame Dahinsiechen
Okay, aber nochmal zurück in den Friedhof der unausgesprochenen Konflikte: Lass uns nochmal schauen, was passiert denn konkret, wenn du immer weiter Konflikte vermeidest? Hier mal ein Blick in den Alltag:
1. Keiner traut sich mehr, etwas anzusprechen
Weil alle so höflich bleiben wollen, traut sich keiner mehr, etwas zu sagen. Ein Kollege liefert schlechte Arbeit ab? Und du so? Wenn du jetzt sagst: „Hauptsache keinen Konflikt auslösen und bloß nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und man will ja auch nicht als Besserwisser dastehen und den anderen auch nicht verletzen!“ Dann führt das dazu, dass der Kollege nie erfährt, dass er Fehler macht – und sich dementsprechend auch nicht verbessern kann. Das ganze Team leidet darunter, weil die Qualität der Arbeit sinkt, aber niemand traut sich, den Elefanten im Raum anzusprechen. Herzlichen Glückwunsch!
2. Kreativität stirbt
Wenn niemand mehr Kritik äußert, bleibt auch die Kreativität auf der Strecke. Denn Innovation entsteht aus dem Zusammenprall unterschiedlicher Ideen oder aus der Notwendigkeit einen fehlerhaften Prozess zu verändern. Wenn alle immer nur höflich zustimmen und Konflikte vermeiden, gibt es keinen Raum für neue, mutige Vorschläge. Wenn du und dein Team immer nach dem Motto arbeitet „Bloß keine Wellen schlagen“, und „wer sich zuerst bewegt hat verloren!“, dann führt das zwangsläufig dazu, dass ihr immer in der gleichen Spur bleibt und alles genauso bleibt wie es ist. Und die Spuren werden tiefer und tiefer, wie Fahrrillen auf der Autobahn. Da fährt es sich nicht so gut.
3. Motivation sinkt
Menschen, die Konflikte meiden, sind oft innerlich frustriert. Vielleicht wollt ihr etwas verändern, traut euch aber nicht, es anzusprechen. Diese innere Unzufriedenheit führt dazu, dass ihr recht schnell die Lust verliert, euch einzubringen. „Warum soll ich mich anstrengen, wenn sowieso niemand zuhört?“ Wie traurig ist das denn bitte?!
Das ist der Punkt, an dem du merkst: Die ach so friedliche und höfliche Stimmung ist eben wichtiger als Veränderung und so hat sie jegliche Motivation gekillt.
Wie du Konflikte produktiv angehst (und den Keller leerst)
Aber keine Sorge, es gibt Hoffnung! Der Weg aus der friedhöflichen Sackgasse besteht darin, Konflikte nicht zu meiden, sondern sie konstruktiv zu lösen. Hier sind einige Schritte, die dir dabei helfen können:
1. Frühzeitiges Feedback
Warte nicht, bis der Keller voll ist. Gib deinen Leuten so früh wie möglich Feedback. Dann kommt es gar nicht erst zum Konflikt. Wenn jemand Fehler macht oder die Zusammenarbeit nicht optimal läuft, setze dich mit ihm zusammen und sprich es freundlich an. Hol dir das OK, es anzusprechen. Je eher du das tust, desto leichter wird es, eine Lösung zu finden.
2. Achtsame Kommunikation
Es geht nicht darum, aggressiv auf Konflikte zuzugehen. Sei achtsam in deiner Kommunikation. Stelle Fragen, höre zu und versuche, die Perspektive deines Gegenübers zu verstehen. Konflikte müssen nicht laut sein – oft reicht einfach ein freundliches Gespräch. Stellt Eure Egos in die Ecke und helft euch dabei gemeinsam einen besseren Job zu machen.
3. Den Fokus auf Lösungen legen
Der beste Weg, einen Konflikt zu bewältigen, ist, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Anstatt zu sagen: „Du machst das immer falsch“, könntest du fragen: „Wie können wir das besser machen?“ So lenkst du den Konflikt in eine konstruktive Richtung. Und falls du etwas Drama willst, dann schnapp dir deine Kollegen und spielt doch mal genau durch, welche Konsequenzen euch erwarten, wenn ihr das so weiterlaufen lasst. Macht mal einen Spaziergang im mit Leichen gefüllten Keller.
Fazit: Keine Angst vor Konflikten!
Es mag verlockend erscheinen, Konflikte zu vermeiden und alles höflich und friedlich zu halten. Aber am Ende landest du in einem Zustand, der weder produktiv noch gesund ist. Statt Konflikte zu meiden, solltest du lernen, sie anzunehmen und konstruktiv zu bewältigen. Nur so kannst du den Keller aufräumen, den Schrank leeren und frischen Wind in dein Team bringen.
Viel Erfolg wünschen wir dabei!